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Karl Schultes und der Verfassungsprozess in der SBZ/DDR

Sozialist, Jurist, Nazi-Gegner

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Passfoto von Karl Schultes, 1941 (Foto: IfZArchiv, ED 188/1)

Karl Schultes (1909–1982) wächst in einem sozialistisch geprägten Elternhaus im thüringischen Nordhausen auf. Er studiert ab 1928 Rechtswissenschaften, engagiert sich in der SPD und der Liga für Menschenrechte und setzt sich für eine Einheitsfront von Sozialdemokraten und Kommunisten gegen die erstarkende NSDAP ein. In seiner 1934 erschienenen Dissertation setzt er sich kritisch mit Artikel 48 der Weimarer Verfassung und der Praxis der präsidialen Notverordnungen auseinander. Zwar durchläuft er noch das Rechtsreferendariat, eine Übernahme in den Staatsdienst bleibt ihm jedoch verwehrt. 

Er unterhält Kontakte zur Widerstandsgruppe „Deutsche Volksfront“ um Hermann Brill. 1939 gerät er ins Visier der Gestapo, entgeht aber einer Verhaftung. 1942 wird er zum Wehrdienst eingezogen. Im Frühjahr 1945 begibt er sich in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Rückkehr nach Thüringen

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Nach Konflikten mit der Kreisleitung der KPD um finanzielle und Haushaltsfragen wird Schultes im April 1946 als Oberbürgermeister von Nordhausen und Landrat abgesetzt. (IfZArchiv, ED 188/36)

Im Juni 1945 kehrt Schultes ins zunächst noch amerikanisch besetzte Thüringen zurück. Er hofft auf einen demokratischen Neuanfang unter sozialistischen Vorzeichen und will seine verfassungsrechtliche Expertise einbringen. Bis zur Übergabe Thüringens an die sowjetische Besatzungsmacht Mitte Juli 1945 dient er als persönlicher Referent von Regierungspräsident Hermann Brill und dessen Nachfolger Rudolf Paul. Ende Juli 1945 wird Schultes Oberbürgermeister und Landrat von Nordhausen. Er nimmt im April 1946 am Einigungsparteitag von KPD und SPD in Gotha teil und wird anschließend Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).

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Tagung des Deutschen Volksrates mit Inkraftsetzung der DDR-Verfassung, 7.10.1949 (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W1126-312 / Fotograf: Albert Kolbe)

Im Juli 1946 wird Schultes Leiter der Gesetzgebungsabteilung und stellvertretender Justizminister von Thüringen. In dieser Funktion ist er maßgeblich an der Ausarbeitung der Landesverfassung beteiligt. Den Verfassungsausschuss des Deutschen Volksrats berät er als kooptiertes Mitglied. 1946/47 lehrt er außerdem an der Universität Jena Staatsrechtslehre und Verfassungsgeschichte. 

Desillusionierung und Flucht

Schultes Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus wird bald enttäuscht. Die zunehmend undemokratische Entwicklung in der SBZ/DDR stürzt den Juristen in immer größere innere und äußere Konflikte. Nach mehrfacher Kritik wird er aus seiner Stellung im Justizministerium entfernt. Als sich Anzeichen eines Parteiausschlussverfahrens mehren, fürchtet Schultes eine baldige Verhaftung und setzt sich am 8. Dezember 1950 nach West-Berlin ab.

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Zeitungsmeldungen zu Schultes Flucht (IfZArchiv, ED 188/36)

Schultes Flucht findet in der westlichen Presse einige Beachtung, sogar die New York Times bringt eine kurze Meldung. Im Februar 1951 wird Schultes als politischer Flüchtling anerkannt. Er siedelt nach Wiesbaden über. Wiederholte Versuche, im Westen in den juristischen Staatsdienst aufgenommen zu werden, scheitern. Auch eine Rückkehr in die Politik gelingt nicht, da Schultes vielen Konservativen als SED-Funktionär gilt. Er beginnt, teils unter Pseudonym, Artikel über die Verfassungs- und Rechtszustände in der DDR zu schreiben. 

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In den 1950er Jahren vertritt Schultes die Interessen von NS-Opfern in Widergutmachungs- und Entschädigungsverfahren. (IfZArchiv, ED 188/19)

1954 lässt sich Schultes in Köln nieder. Als Mitarbeiter der United Restitution Organization (URO), ab 1957 mit eigener Kanzlei, vertritt er jüdische und politische Verfolgte in Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren. 1964 wird er zunächst zum stellvertretenden Mitglied, 1970 zum ordentlichen Mitglied des Verfassungsgerichtshofs von Nordrhein-Westfalen gewählt, dem er bis 1976 angehört.

Rettung der Dienstakten
 

Vor seiner Flucht aus der DDR schmuggelt Karl Schultes seine dienstlichen Handakten aus seiner Tätigkeit in Nordhausen und im Justizministerium von Ost- nach West-Berlin. Diese riskante und vorausschauende Aktion erweist sich als Glücksfall für die politik- und geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit der Sowjetischen Besatzungszone. Denn während der deutschen Teilung sind die ostdeutschen Archive für die Forschung weitgehend unzugänglich. Schultes gewährt der Wissenschaft jedoch Zugang zu seinen Unterlagen. Detlef A. Travers kann schon Anfang der 1960er Jahre die Akten für seine rechtswissenschaftliche Dissertation zu Entwicklung und ideologischen Hintergründen der Verfassungsarbeiten in der SBZ bis 1949 verwenden.

Der Nachlass im IfZ-Archiv

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Aktennotiz von Hermann Weiß über bevorstehende Ankunft des Nachlasses Karl Schultes am IfZ (IfZArchiv, ID 200/391)

Nach dem überraschenden Tod von Karl Schultes Anfang 1982 bemüht sich das IfZ, den politisch-wissenschaftlichen Nachlass des Juristen für das Archiv und damals laufende und geplante Forschungen zur SBZ zu akquirieren. Nach monatelangen Verhandlungen mit der Erbengemeinschaft und dem Testamentsvollstrecker erhält das IfZ im Dezember 1982 den Zuschlag. Die Unterlagen treffen im Januar 1983 in München ein.

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Der Nachlass von Karl Schultes umfasst 67 Bände (Foto: IfZArchiv).

Zum Zeitpunkt der Übernahme hat der Nachlass in Westdeutschland Einmaligkeitscharakter. Er umfasst umfangreiche Korrespondenzen Schultes in seiner Funktion als Oberbürgermeister und Landrat von Nordhausen in den Jahren 1945/46, als Ministerialdirektor im thüringischen Justizministerium von 1946 bis 1950 und als Rechtsanwalt bzw. Schriftsteller in den Jahren nach 1950 in der Bundesrepublik. Besonders interessant sind außerdem die Handakten aus Schultes‘ Tätigkeit in der Gesetzgebungsabteilung des thüringischen Justizministeriums 1946 bis 1950, darunter Tätigkeitsberichte und sonstige Berichte, Stellungsnahmen, Gutachten, Aktennotizen, Protokolle und handschriftliche Notizen. 

Schließlich enthält der Nachlass zahlreiche veröffentlichte, aber auch unveröffentlichte maschinenschriftliche Manuskripte, Vorentwürfe und Aufzeichnungen aus Schultes‘ jahrzehntelanger schriftstellerischer und rechtswissenschaftlicher Betätigung, insbesondere zu staatsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragestellungen.

Aus dem Archiv

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Stellungnahme Hermann Brills im Anerkennungsverfahren von Karl Schultes als politischer Flüchtling (IfZArchiv, ED 188/4)

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Stellungnahme Hermann Brills im Anerkennungsverfahren von Karl Schultes als politischer Flüchtling (IfZArchiv, ED 188/4)

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IfZArchiv, ED 188/26

Mehr zum Thema

  • Gerhard Braas, Die Entstehung der Länderverfassungen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1946/47, Köln 1987
  • Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen, 1945–1948, München 1989
  • Heike Amos, Die Entstehung der Verfassung in der sowjetischen Besatzungszone/DDR 1946–1949. Darstellung und Dokumentation, Münster 2006
  • Steffen Kachel, Ein rot-roter Sonderweg? Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen 1919 bis 1949, Köln 2011