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Die Gedanken sind frei: Alfred Schmidt-Sas

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Verhandlung des Volksgerichtshofs, 1944 (Foto: Bundesarchiv, Bild 151-39-23)

„Vorbereitung zum Hochverrat“: So lautet die Anklage in tausenden von Verfahren, die das nationalsozialistische Deutschland zwischen 1934 und 1945 vor dem Volksgerichtshof führt. Als Hochverrat gilt dem Regime dabei jede noch so geringe auf einen Machtwechsel abzielende oppositionelle Handlung oder Äußerung. Bereits Kleinigkeiten werden kriminalisiert und verfolgt. Auch Alfred Schmidt-Sas wird Opfer dieser entgrenzten, verbrecherischen Justiz. Monatelang sitzt der sächsische Musikpädagoge in Plötzensee in der Todeszelle, hin und hergerissen zwischen bodenloser Verzweiflung und Überlebenshoffnung auf Begnadigung. Sein Nachlass gibt eindrücklich Zeugnis von der Gewalt, die das Regime seinen echten und vermeintlichen Gegnern antat. Die bewegenden Egodokumente verdeutlichen aber auch, dass der Terror der Nationalsozialisten Grenzen hatte, wenn es dem Einzelnen gelang, ungeachtet der seelischen und physischen Folter innere Distanz oder sogar inneren Frieden zu finden.

„Schmidt-aus-Schlegl“

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 Alfred Schmidt-Sas am Klavier (Foto: IfZ-Archiv, ED 176/11)

Alfred Schmidt, er selbst und seine Freunde nennen ihn nach seinem Heimatort auch „Sas“ oder Schmidt-Sas (Schmidt-aus-Schlegel), nimmt als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Nach Kriegsende schließt er das unterbrochene Lehrerseminar ab; in den 1920er unterrichtet er an verschiedenen Schulen in Leipzig. Politisch sympathisiert er mit Anarchismus und Sozialismus, ist von 1930 bis 1932 auch Mitglied der KPD. Im März 1933 wird Sas wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ in „Schutzhaft“ genommen. Er kommt nach einigen Wochen wieder frei, darf nun aber nicht mehr in seinem Lehrerberuf arbeiten.

Kontakte zum Widerstand

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Ein solcher Geha-Stapeldrucker 45 wurde bei der Durchsuchung von Schmidt-Sas' Wohnung gefunden (Foto: IfZArchiv).

1934 folgt er seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Marga Dietrich, nach Berlin, wo er als freiberuflicher Musikerzieher tätig ist. Politisch tritt er in den nächsten Jahren nicht in Erscheinung. Über seine Tätigkeit als privater Musiklehrer kommt er jedoch mit regimekritischen Intellektuellen in Kontakt. Auf den Abendgesellschaften von Elisabeth Pungs lernt er den jungen Hanno Günther kennen, der mit Pungs und anderen aktiv für Frieden und Meinungsfreiheit eintritt. Die kleine Gruppe verfasst ab Anfang 1940 mindestens sechs Flugblätter unter dem Titel „Das freie Wort”, in denen sie zum Sturz des NS-Regimes aufrufen. Alfred Schmidt-Sas beteiligt sich wohl nicht direkt an den Widerstandsaktionen der sogenannten „Rütli-Gruppe”. Auf Pungs‘ Bitten besorgt er allerdings Ende 1939 einen Vervielfältigungsapparat und stellt außerdem 1940/41 einen Kontakt zwischen Hanno Günther und dem kommunistischen Widerstandskämpfer Herbert Bochow her.

Verhaftung, U-Haft, Konzentrationslager

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Schmidt-Sas kurz nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen (Foto: IfZ-Archiv, ED 176-11-45)

Im Juni 1941 wird zunächst Bochow verhaftet, Ende Juli nimmt die Gestapo Günther und seine Mitstreiter sowie Elisabeth Pungs und am 10. August schließlich Alfred Schmidt-Sas fest. In der Wohnung des Musikpädagogen findet die Polizei zwei Vervielfältigungsapparate: In den Augen des Regimes starke Indizien für eine oppositionelle Betätigung. Nach einigen Monaten im Polizeigefängnis Alexanderplatz und der Untersuchungshaftanstalt Moabit wird Sas im November 1941 ins KZ Sachsenhausen überstellt, wo er harte Arbeit leisten muss.

Außerhalb des Lagers bemühen sich Marga Dietrich und Freunde von Schmidt-Sas unermüdlich um dessen Freilassung. Tatsächlich wird der Musiklehrer Anfang März 1942 entlassen und kehrt, zumindest vorübergehend, zu seiner Lebensgefährtin zurück. Er verbringt rund dreieinhalb Monate in Freiheit, besucht Familie und Freunde, bevor er am 25. Juni erneut verhaftet und ins Strafgefängnis Plötzensee verbracht wird.

Prozess

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Seite 1 Der Anklageschrift vom 26. Mai 1942 (Bundesarchiv, R 3017/2719)

Zusammen mit Hanno Günther, Elisabeth Pungs, Wolfgang Pander, Bernhard Sikorski, Emmerich Schaper, Kurt Gersing und Dagmar Petersen wird Sas im August der Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrats angeklagt. Zwar können die Nationalsozialisten dem Musiklehrer keine direkte Beteiligung am Verfassen und Verbreiten der Flugschriften nachweisen. Die Bekanntschaft mit Elisabeth Pungs, Hanno Günther und Herbert Bochow sowie der Besitz der beiden Abziehgeräte reichen dem Volksgerichtshof jedoch aus, um am 9. Oktober 1942 neben Günther, Pander, Sikorski und Schaper auch Schmidt-Sas zum Tode zu verurteilen.

Plötzensee

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Die Todeszellen im zerstörten Zellengefängnis von Plötzensee: Hier verbrachten die Opfer ihre letzte Stunde (Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1995-077).

Sas stellt mehrere Gnadengesuche. Sie alle scheitern, zögern jedoch die Hinrichtung aber vorerst hinaus. Zwischen Todesurteil und Vollstreckung liegen letztlich sechs Monate im Plötzenseer Totenhaus. Täglich muss er durch die Zellentür mitanhören, wie um ihn herum andere Todgeweihte aus ihren Zellen geholt und zur Hinrichtung geführt werden. Hanno Günther, Wolfgang Pander und Bernhard Sikorski werden bereits am 3. Dezember 1942 in Plötzensee hingerichtet; Emmerich Schaper, der seit Kindheitstagen an Epilepsie leidet, stirbt noch während der Haft. Schmidt-Sas muss sich täglich fragen: Wann bin ich an der Reihe?

„Dies schreibe ich am Montag, dem 8. März [1943]. Auch die schrecklichen Minuten gegen 13 Uhr, wenn man die Abendopfer aus den Zellen holt und das Haus den Atem anhält, sind für heute vorüber, und der Tag kann als gewonnen gebucht werden.“

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Bereits in der Untersuchungshaft verfasste Schmidt-Sas erste Gedichte (IfZ-Archiv, ED 176-6-101).

Anspannung und Einsamkeit werden zur seelischen Zerreißprobe. Sas schwankt zwischen depressiven Stimmungen und Momenten euphorischer Hoffnung hin und her. Ausweg aus der psychischen Zwangslage findet der Musikpädagoge, wie schon während der Untersuchungs- und KZ-Haft, im Schreiben und Komponieren. Mit meist gefesselten Händen verfasst er heimlich Briefe, Notizen, Lieder und kleinere Melodien und vor allem Gedichte, in denen er sich mit dem nahenden Tod auseinandersetzt. 

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Schmidt-Sas schrieb in der Todeszelle ein Brieftagebuch für seine Verlobte (IfZ-Archiv, ED 176-6-12).

Für seine Verlobte Marga Dietrich führt er ein ausführliches Brieftagebuch. Die enge emotionale Verbindung zu ihr gibt ihm Kraft und lässt ihn schließlich inneren Frieden finden.

Am 5. April 1943 wird Alfred Schmidt-Sas in Berlin-Plötzensee ermordet.

„O Du himmlische Wolkenmusik“

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Schmidt-Sas fasst in Plötzensee mehr als zwei Dutzend seiner Texte unter dem Titel „O Du himmlische Wolkenmusik" zusammen. Sein Wunsch war, dass diese an Freunde verteilt würden. Noch während des Krieges erfüllte Marga Dietrich diesen letzten Wunsch und ließ die Gedichtsammlung drucken (Foto: IfZ-Archiv, ED 176/6).

Sas‘ Gedichte, Briefe und Notizen aus der Todeszelle gelangen teils noch während seiner Haft, teils nach seiner Ermordung über den Gefängnispfarrer Harald Poelchau – und damit an der Gefängniszensur vorbei – an Marga Dietrich. Schmidt-Sas selbst hatte bereits seit August 1942 eine Drucklegung seiner Verse im Sinn gehabt und dafür mehrere Gedichte unter dem Titel „O Du himmlische Wolkenmusik“ zusammengestellt. Nach seiner Hinrichtung setzt Marga Dietrich alles daran, diesen Wunsch zu erfüllen. Noch während des Krieges lässt sie die „Wolkenmusik“ drucken und verteilt die blau eingeschlagenen Bändchen persönlich an Verwandte und Freunde des Verstorbenen.

Rezeption im geteilten Deutschland

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Einladung zu einer Gedenkfeier u.a. an Alfred Sass in Berlin-Wilmersdorf, 1946 (IfZ-Archiv, ED 176-10-12)

Nach Kriegsende bemüht sich Dietrich auch um ein öffentliches Gedenken an Alfred Schmidt-Sas. In den ersten Nachkriegsjahren wird der Musikpädagoge und Dichter sowohl in der SBZ als auch im Westen bei Veranstaltungen und in Medienbeiträgen gewürdigt. In der DDR wird Schmidt-Sas jedoch bald politisch instrumentalisiert und zum linientreuen kommunistischen Widerstandskämpfer, ja zum Anführer der „Rüttli“-Gruppe, stilisiert. Im Westen erscheint seine Verbindung zur Gruppe um Hanno Günther dagegen als zu marginal, um ihn überhaupt zum Widerstand zu zählen. 

Der Nachlass im IfZ-Archiv
 

Nach dem Tod Marga Dietrichs 1978 vertraut ihre Sachwalterin den Nachlass von Alfred Schmidt-Sas dem Institut für Zeitgeschichte zur dauernden Verwahrung und zur Nutzung im Sinne der Institutssatzung an. Die Briefe, Gedichte und Kompositionen sowie Unterlagen zum VGH-Verfahren aus dem zwölfbändigen Bestand ED 176 fließen u.a. in eine von Volker Hoffmann verfasste kritische Biographie ein von Schmidt-Sas ein.

Hörproben

Komponiert im Oktober 1942 in Plötzensee
(IfZArchiv, ED 176-6-12, Tonbeispiel umgesetzt von Giles Bennett, IfZ)

Komitat (IfZArchiv, ED 176-7-39, Tonbeispiel umgesetzt von Giles Bennett, IfZ)

Aus dem Archiv

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Schmidt-Sas beim Anhören einer Schallplatte (Foto: IfZ-Archiv, ED 176-11-19).

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Marga Dietrich und Alfred Schmidt-Sas in glücklicheren Tagen (Foto: Bildausschnitt, IfZ-Archiv, ED 176-11-21)

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Marga Dietrich, ca. 1947 (Foto: IfZ-Archiv, ED 176-11-49)

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Veranstaltungsprogramm „Herzen hinter Gittern", 16.9.1945 (IfZ-Archiv, ED 176-4-20)

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Programm einer Gedenkfeier des Kulturausschusses „Opfer des Faschismus" in Berlin-Wilmersdorf, 6. Januar 1946 (IfZ-Archiv, ED 176-10-16)

Mehr zum Thema

  • Volker Hoffmann: Der Dienstälteste von Plötzensee. Das zerrissene Leben des Musikerziehers Alfred Schmidt-Sas, Berlin 1998