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Demokratische Protestkulturen

 

Bewegte Zeiten hinterlassen ihre Spuren

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Abschlusskundgebung des Kölner Ostermarschs am 8. April 1985 (Foto: Bundesarchiv, Bild 224-271-08 / Fotograf: Guenay Ulutuncok)

Private Unterlagen zu den Protest- und Emanzipationsbewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert haben sich seit den 1970er Jahren neben den Beständen zur NS-Zeit zu einem weiteren wichtigen Sammlungsschwerpunkt des IfZ-Archivs entwickelt. Diese bedeutende Erweiterung des Sammlungsprofils geht zurück auf die Historiker und Archivleiter Werner Röder und Hartmut Mehringer, die in ihrer Studienzeit in den 1960er Jahren selbst politisch aktiv waren. Heute lassen sich insbesondere die Außerparlamentarische Opposition, die Friedensbewegung, die regionale und bundesweite Neue Frauenbewegung anhand zahlreicher, teils sehr umfangreicher Nachlässe von Aktivistinnen und Aktivisten sowie mithilfe der Überlieferung von Verbänden und Gruppierungen erforschen. 

Friedensbewegung

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Das IfZ-Archiv bietet zahlreiche Bestände zur Friedensbewegung der Nachkriegszeit (IfZArchiv, ED 718/19).

Unter den vielen Beständen aus dem Umfeld der Friedensbewegung nimmt der Nachlass der Friedensaktivistin Christel Küpper (1906–1995) eine besondere Stellung ein. Bereits vor 1933 engagiert sich die ausgebildete Bibliothekarin in der "Internationalen Liga für Frieden und Freiheit". Nach dem Ende des NS-Regimes wird sie in den 1950er Jahren parteipolitisch aktiv, zunächst in der „Gesamtdeutschen Volkspartei“, von 1958 bis 1961 in der SPD.

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Von Christel Küpper organisierte Aktion der „Weltorganisation der Mütter aller Nationen“ gegen Atomrüstung in München 1958 (Foto: IfZArchiv, BA-35730).

Vor dem Hintergrund der zunehmenden atomaren Aufrüstung kehrt sie den etablierten Parteien allerdings bald den Rücken und wirkt fortan im außerparlamentarischen Bereich. 1958 organisiert sie eine medienwirksame zweitägige Protestaktion gegen Atombombenversuche und Wettrüsten. In den 1960er Jahren treibt sie die Ostermarschbewegung voran und gehört zu den Initiatorinnen der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. 

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Weltfrauenkongress der Internationalen Demokratischen Frauenföderation im Juni 1963 in Moskau (Foto: IfZArchiv, BA-35739)

Teils über mehrere Jahrzehnte ist Küpper in Vorständen und Kuratorien regionaler, nationaler wie auch internationaler Friedensorganisationen aktiv, darunter die „Weltorganisation der Mütter aller Nationen“, das „Komitee gegen Atomrüstung“, der „Kampfbund gegen Atomschäden“ sowie die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Friedensverbände“.

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Christel Küpper gehört zu den Initiatorinnen der Friedensforschung und Friedenspädagogik in Deutschland

Ende der 1970er Jahre übergibt Christel Küpper dem IfZ umfangreiche persönliche Unterlagen zu ihrem friedenspolitischen Engagement. Nach ihrem Tod 1995 kommen weitere Nachlassteile hinzu. Der mehr als 260 Bände umfassende Bestand dokumentiert verschiedene lokale, regionale und internationale Stränge und Wechselwirkungen der Friedens- und Abrüstungsbewegung seit den 1950er Jahren. Besonders dicht ist die Überlieferung zur „Weltorganisation der Mütter aller Nationen“, zur Ostermarschbewegung sowie zu den Anfängen und zur Entwicklung der Friedensforschung und Friedenspädagogik. 

Außerparlamentarische Opposition

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IfZArchiv, ED 738/2

In den 1960er Jahren formieren sich in Westeuropa und Nordamerika politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu einer vielschichtigen Protestbewegung. Auf nationaler Ebene erregt die Beschränkung von Grundrechten durch die sogenannten Notstandsgesetze vehementen Widerspruch von Studierenden, Bürgerbewegungen und Gewerkschaften. 

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IfZArchiv, ED 328/30

Auf internationaler Ebene positioniert sich die vielschichtige Außerparlamentarische Opposition (APO) unter anderem gegen das Franco-Regime, den persischen Schah oder das Militärregime in Griechenland. Der politische Kampf gegen diese Regime dient dabei häufig auch der Kritik an der eigenen Regierung und dem „antiimperialistischen Kampf“ gegen die westliche Supermacht USA. Diese Außerparlamentarische Opposition, in der die Studierenden oder „68er” nur die bekannteste Fraktion darstellten, und ihre Ausläufer sind in zahlreichen Beständen im IfZ fassbar.

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IfZArchiv, ED 750/62

Der zentralste und umfangreichste Bestand ist das sogenannte „APO-Archiv“, das von Heinz Koderer (1940–2009) angelegt wurde. Koderer, der in den 1960er Jahren an der Münchner Akademie der Bildenden Künste studiert, treiben wie viele seiner Generation die mangelnde Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Wunsch nach mehr Partizipation an den Hochschulen um. Er wird Mitbegründer der Hochschulgruppe Sozialistischer Kunststudenten und organisiert allerlei Protestaktionen. 

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Verhaltenstipps für Aktivistinnen und Aktivisten im Falle er Verhaftung (IfZArchiv, ED 750/250).

Vor allem aber wird er zum Chronisten und Dokumentar der außerparlamentarischen Opposition in München. Er legte ein privates „APO-Archiv“ an und sammelte über Jahrzehnte hinweg Protokolle einzelner Gruppen, Presseausschnitte, Flugblätter, Fotos und weitere Medien zu studentischen Protesten, Aktionen der Münchner Friedens- und Antiatombewegung sowie von gewerkschaftlichen Aktionen von Mitte der 1950er Jahre bis zu seinem Tod.

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In den 1960er Jahren engagierte sich der Geschichtsstudent Werner Röder in der Studentenbewegung. Als Leiter des IfZ-Archivs (19802000) baute er den Sammlungsschwerpunkt zu den demokratischen Protestbewegungen dezidiert aus (IfZArchiv, ED 1220).

2009 vertrauen die Erben Koderers umfangreiche Sammlung dem IfZ an. Der große, über 450 Bände umfassende Bestand, ist eine wertvolle Bereicherung für zahlreiche kleinere Bestände zur Studentenbewegung und Außerparlamentarischen Opposition. 

Neue Frauenbewegung

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Das IfZ bietet zahlreiche Quellen zur Neuen Frauenbewegung (IfZArchiv, ED 867/10)

Seit rund 20 Jahren bildet die Geschichte der Neue Frauenbewegung einen weiteren, stetig anwachsenden Sammlungsschwerpunkt des Archivs. Die Unterlagen, die von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Gegenwart reichen, bieten tiefe Einblicke in die Strukturen, Ziele, Kommunikationsstrategien und Netzwerke einzelner Aktivistinnen, Organisationen und Gruppierungen.

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Die Frauenrechtsaktivistin Hannelore Mabry in Aktion (Foto: IfZArchiv, ED 900/495-57)

Zu den Kernbeständen gehört das „Bayerische Archiv der Frauenbewegung“ der Frauenrechtsaktivistin Hannelore Mabry (1930–2013). Die gebürtige Chemnitzerin besucht nach dem Zweiten Weltkrieg die Schauspielschule. Ab 1966 studiert sie Soziologie, VWL, Politikwissenschaft und Psychologie in München. Sie beschäftigt sich intensiv mit Fragen des Parlamentarismus, Marxismus und Frauenrechten.

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Die Zeitschriften „Frauenforum“ und der Feminist“ sind Teil der Druckschriftensammlung unter Dq 827.

1971 gründet Mabry den Verein „Frauenforum München“ und gibt ab 1974 dessen Zeitschrift „Frauenforum“ heraus. 1976 wendet sich Mabry vom Verein Frauenforum ab. Sie begründet den „Förderkreis zum Aufbau der Feministischen Partei“ mit und ist maßgeblich an der Gründung und Herausgabe der Zeitschrift „Der Feminist“ beteiligt. Die Zeitschrift bietet Mabry in den folgenden Jahren eine ideale Plattform für ihre pazifistischen und feministischen Theorien.

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Die zahlreichen Aktionen von Hannelore Mabry und ihren Vereinen sind in Fotos, Protokollen, Flugblättern und anderen Unterlagen breit dokumentiert (Foto: IfZArchiv, ED 900/495)

Mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern organisiert sie regelmäßige Straßenaktionen, Diskussionsveranstaltungen und zielgerichtete Demonstrationen, beispielsweise gegen den Besuch von Papst Johannes Paul II. in München im Mai 1987.

Ab 1989 baut Mabry, gefördert unter anderem von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Petra Kelly, das Bayerische Archiv der Frauenbewegung auf und bietet wöchentliche Geschichtswerkstätten an.

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Der Nachlass von Hannelore Mabry enthält auch mehrere textile Banner, Transparente und Körperumhänge, die bei Aktionen der bayerischen Frauenbewegung zum Einsatz kamen (Foto: IfZArchiv, ED 900/531, Fotografin: Annette Kelm)

Nachdem sie sich ab 2001 krankheitsbedingt aus dem Vereinsleben zurückziehen und ihr gesellschaftspolitisches Engagement stark einschränken muss, bemüht sich Hannelore Mabry um die langfristige Sicherung ihrer vielfältigen Unterlagen und vertraut diese schließlich dem IfZ an. Mit über 550 Archiveinheiten gehört der Bestand zu den umfangreichsten Sammlungen zur Neuen Frauenbewegung im IfZ-Archiv. Enthalten sind neben Vereinsunterlagen sowohl des Frauenforums München (1971–1976) als auch des Förderkreises zum Aufbau der Feministischen Partei“ und dessen Nachfolgern (1976–1990), die Sammlungen des „Bayerischen Archivs der Frauenbewegung“, Transparente und andere Objekte von einzelnen Aktionen sowie persönliche Materialien und Korrespondenzen von Hannelore Mabry. Die Unterlagen geben Einblick in die Zielsetzungen, Aktivitäten und politischen Positionen von Hannelore Mabry und der von ihr geführten Vereine.

Video

Die Filmemacherin und Autorin Helke Sander widmete Hannelore Mabry (geboren am 27. August 1930 in Chemnitz, gestorben am 20. März 2013 in München) im Jahr 2005 ein Porträt mit dem Untertitel „Schauspielerin, Soziologin, Frauenrechtlerin, Mutter, Kinderrechtlerin, Liebhaberin, Kirchenkritikerin“. Diese vielfältigen Aspekte von deren Leben werden anhand von historischem Filmmaterial und Interviews mit Weggefährtinnen und der Protagonistin selbst, wenig kommentiert, in 32 Minuten dargestellt.

Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte dankt Helke Sander und der Deutschen Kinemathek, dass dieser Film neben den Volltexten von Mabrys Zeitschriften allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden kann.

Aus dem Archiv

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Plakate zu Ostermärschen aus der Sammlung des IfZ-Archivs

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Zeitungen aus der Sammlung des IfZ-Archivs

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Titelbild des Buches „Unkraut ins Parlament“ von Hannelore Mabry

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Teil einer Ausstellung des IfZ-Archivs zum Gedenken an Hannelore Mabry (2013)