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Möhlstraße

Heute mag der Standort im Stadtteil Bogenhausen ruhig und verschlafen erscheinen, doch in den Nachkriegsjahren war die Gegend ein lebendiges Zentrum jüdischen Lebens und damit selbst ein von der jüngsten Zeitgeschichte geprägter Ort. 

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Aufnahme der Möhlstraße 26 aus dem Jahr 2024: Mittlerweile ist dort das Zentrum für kognitive Störungen, eine Einrichtung des Klinikums rechts der Isar untergebracht

1956 zog das IfZ in München von der Reitmorstraße in die Möhlstraße 26 in eine Villa, die zwischenzeitlich Herzog Ludwig Wilhelm in Bayern gehört hatte und von dessen Erben an den Freistaat Bayern verkauft worden war.

Hier brachte nun das Institut eine Bibliothek mit 40.000 Bänden, 146 gesammelten Zeitschriften, Kopien der Nürnberger Prozessdokumente und eine stetig anwachsende Personenkartei zu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NS-Zeit unter, ebenso wie Mikrofilme deutscher Dokumente, die von den Alliierten bei Kriegsende beschlagnahmt worden waren und sich noch in Sammelstellen in Großbritannien und vor allem in den USA befanden. All diese Dokumente und Publikationen konnten nun in einem Lesesaal eingesehen werden, den im ersten Jahr 400 Besucherinnen und Besucher aufsuchten. Zehn Jahre später war der Bibliotheksbestand auf 50.000 Bände angewachsen und die archivischen Kopienbestände wurden zunehmend durch Nachlässe wichtiger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ergänzt. Der Lesesaal verzeichnete mittlerweile etwa 1.300 Besucherinnen und Besucher im Jahr. 

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Das Gebäude Möhlstraße 26 (Foto: IfZ, Bildsammlung)

Auch die Mitarbeiterzahl stieg. Beim Einzug waren neben dem Generalsekretär fünf planmäßige wissenschaftliche Mitarbeiter und drei wissenschaftliche Honorarmitarbeiter tätig. Mitte der 1960er arbeiteten bereits zwölf Personen für das Institut.

In einem Fernsehbeitrag über das Institut aus dem Jahr 1965 werden die Räumlichkeiten beklagt: „Die schäbige heruntergekommene Villa aus dem 19. Jahrhundert, die das Institut jetzt beherbergt, behindert in empfindlicher Weise die Weiterentwicklung der Forschungsarbeit. Neue Mitarbeiter können nicht eingestellt werden, da jeder Meter Platz schon vergeben ist. Flure und Gänge des Hauses sind mit Behelfsmagazinen vollgestellt, die aber auch schon wieder bis zum Rand gefüllt sind.“ Archivalien konnten nicht mehr sachgemäß aufbewahrt, geschweige denn zugänglich gemacht werden. Ein kleiner Lesesaal bot lediglich acht kleine Arbeitsplätze. 

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„Paläste werden zu Ruinen …“ – Einladung zur Abschiedsfeier von der Möhlstraße (IfZ-Archiv, ID 103, 171)

Dass die Villa in der Möhlstraße nun sowohl für Institutsangehörige, externe Besucherinnen und Besucher sowie für die Bibliotheks- und Archivbestände zu klein geworden war, hatte auch der Stiftungsrat 1963 festgestellt, weshalb er 1965 einen Neubau für das Institut beschloss. 

Den Auszug aus der Möhlstraße feierte das Institut in der letzten Karnevalswoche des Jahres 1972 unter dem Motto „Paläste werden zu Ruinen …“. Eine Kostümierung wurde nicht erbeten, wohl aber ein „ein improvisiertes Underdressing (Jeans, Pulli o. ä.)“.

Auch wenn man froh war, in der Leonrodstraße nun ausreichend Platz gefunden zu haben, habe noch lange eine gewisse Nostalgie nach der Möhlstraße sowohl unter Beschäftigten wie auch unter Gästen geherrscht.

Nach dem Auszug des IfZ zogen Einrichtungen des Klinikums rechts der Isar in die Hausnummer 26 ein. Heute findet sich dort das Zentrum für kognitive Störungen.

 

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Aufnahme der Möhlstraße, vermutlich aus den 1970er Jahren (Foto: Produktion „25 Jahre Institut für Zeitgeschichte”, Bayerischer Rundfunk, Screenshot)

Die im Münchener Stadtteil Bogenhausen gelegene Möhlstraße war selbst ein geschichtsträchtiger Ort. In den nach dem Zweiten Weltkrieg leerstehenden Villen hatten sich nach 1945 viele jüdische Hilfsorganisationen angesiedelt. Sie versorgten Jüdinnen und Juden, die den nationalsozialistischen Konzentrationslagern entkommen waren, mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs und berieten sie in ihren Auswanderungsplänen. 

Über „Die veränderte Möhlstrasse“ schrieb der deutsch-israelische Journalist und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin 1959, wobei er auch das IfZ erwähnte, und summierte:

Die Moehlstrasse hat es in sich … Sie ist Deutschlands schlechtes Gewissen und gutes Gedaechtnis. Zuerst sammelte sich hier das Strandgut der Katastrophe, dann setzte sich seit 1950 in diesem Institut das furchtbar belastende geschichtliche Material gleichsam fest. Wie viel unsagbares Leid ist dort zwischen Aktendeckel gebündelt und in Kartotheken registriert.“ 

Aus dem Archiv

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Schalom Ben-Chorin, Begegnungen in der Golah (III): Die veränderte Möhlstrasse, in: Jediʿoth Chadaschoth vom 4. September 1959 (IfZ-Hausarchiv, ID 33-7)