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Das Private im Nationalsozialismus

Das Projekt ging der innovativen Frage nach, wie sich unter den Bedingungen der NS-Herrschaft 1933–1945 das Verhältnis zwischen privaten Lebensentwürfen und öffentlichen Gewaltansprüchen gestaltete.

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Hilfswerk Mutter und Kind, 1934/45 (Foto: Bundesarchiv, Plak 003-015-061)

Die soziale Praxis des Aufeinandertreffens von „privat“ und „öffentlich“ war für die Geschichte des Nationalsozialismus von fundamentaler Bedeutung, blieb aber lange Zeit weitgehend unerforscht. Hier setzte das von Johannes Hürter und Andreas Wirsching geleitete Forschungsprojekt „Das Private im Nationalsozialismus“ an, indem es von 2013 bis 2021 der Frage nachging, wie sich das Verhältnis zwischen privaten Lebensentwürfen und öffentlichen Gewaltansprüchen gestaltete. Mit dem Privaten erschloss das IfZ der zeithistorischen Forschung ein neues und zentrales Thema der nationalsozialistischen Gesellschaftsgeschichte.

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Normales privates Leben? Eine Familie spielt vermutlich im Jahr 1939 am Flussufer, im Hintergrund ist ihr KdF-Auto zu sehen (Foto: Bundesarchiv, Bild 146II-732, o. A.)

Das Projekt führte im Wesentlichen zu drei Ergebnissen: Erstens war Privatheit im „Dritten Reich“ immer prekär, etwas, das stets angefochten werden konnte und immer wieder neu ausgehandelt werden musste; zweitens war „normales privates Leben“ ein Versprechen, mit dem das Regime seine Herrschaft legitimieren, Massenanhang gewinnen und sich von den wirtschaftlichen Krisen, politischen Konflikten und als negativ empfundenen sozio-kulturellen Liberalisierungen der Weimarer Republik abheben wollte; drittens fügten viele „Volksgenossen“ von sich aus ihre eigenen privaten Entwürfe, Wünsche und Lebensweisen in das politische System des Nationalsozialismus ein und stützten es dadurch.

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Das Team des Projekts „Das Private im NS“

Die Projektpublikationen (vor allem drei Monografien, eine Edition, zwei Tagungsbände) vermitteln ein breites Panorama, was Privatheit in der NS-Diktatur bedeutete. Ob den „Volksgenossen“ vor Gericht oder den Wehrmachtsoldaten und ihren Angehörigen im Heimaturlaub eine Privatsphäre zugestanden wurde oder nicht, ob ein regimekonformes Ehepaar sein Familienleben und die Erziehung der Kinder den nationalsozialistischen Vorstellungen anpasste, ob jüdische Ghettobewohner in Polen sich mit bestimmten Praktiken einen Rest an Privatheit bewahrten: Das Private im Nationalsozialismus erwies sich durchgehend als vielschichtiger Erfahrungs- und Handlungsraum, in dem Privatheit sowohl eine systemstabilisierende Ressource als auch eine individuelle Strategie war. In diesem Raum vermengten sich die Interessen von Regime und Individuen viel häufiger und ließen sich viel besser vereinbaren, als das die Forschung zuvor angenommen hatte.

Mehr zum Thema

 

Veröffentlichungen im Projekt

  • Elizabeth Harvey/Johannes Hürter/Maiken Umbach/Andreas Wirsching (Hrsg.): Private life and privacy in Nazi Germany, Cambridge 2019
  • Annemone Christians: Das Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis, Göttingen 2020
  • Christian Packheiser: Heimaturlaub. Soldaten zwischen Front, Familie und NS-Regime, Göttingen 2020
  • Carlos Alberto Haas: Das Private im Ghetto. Jüdisches Leben im deutsch besetzten Polen 1939 bis 1944, Göttingen 2020
  • Johannes Hürter/Thomas Raithel/Reiner Oelwein (Hrsg.): „Im Übrigen hat die Vorsehung das letzte Wort …“. Tagebücher und Briefe von Marta und Egon Oelwein 1938–1945, Göttingen 2021
  • Wiebke Lisner/Johannes Hürter/Cornelia Rauh/Lu Seegers (Hrsg.): Familientrennungen im nationalsozialistischen Krieg. Erfahrungen und Praktiken in Deutschland und im besetzten Europa 1939–1945, Göttingen 2022

Veröffentlichungen zum Projekt